Soll ein Neugeborenes eine Mütze tragen?
Christine Clausen
Von Doula Maddie McMahon, ins Deutsche übersetzt von Christine Clausen
Die Gewohnheit, einem Neugeborenen sofort eine Mütze aufzusetzen, ist tief in unserer Kultur verankert.
Wenn man online nach Bildern von Neugeborenen sucht, tragen fast alle eine Mütze – als wären sie direkt auf dem Weg zu einer Schneeballschlacht. Aber warum tun wir das? Und warum bestehen so viele Hebammen und Ärzt:innen darauf, dass Babys sofort nach der Geburt den Kopf bedeckt bekommen?
Die Antwort, die ich von Hebammen am häufigsten bekomme, ist, dass Babys über den Kopf viel Wärme verlieren und auskühlen könnten. Diese Antwort verwirrt mich. Ich frage mich, warum die Evolution wohl ein so fehlerhaftes System für unsere Spezies erschaffen hätte. Also habe ich ein wenig recherchiert. Es stellte sich heraus, dass in den 1970er Jahren ein Mythos entstand, dem zufolge Menschen angeblich den Großteil ihrer Körperwärme über den Kopf verlieren. Offenbar geht dieser Mythos auf ein militärisches Experiment aus den 1950er Jahren zurück, bei dem Wissenschaftler:innen den Wärmeverlust von Soldaten unter Schneebedingungen maßen. Da nur ihre Köpfe unbedeckt waren, ist es wenig überraschend, dass genau dort der meiste Wärmeverlust festgestellt wurde. Hätten sie keine Hosen getragen, hätte man vermutlich geschlossen, dass Menschen die meiste Wärme über den Po verlieren… Köpfe sind also keine besonderen Wärmestrahler!
Und ja, diese alte Studie wurde seither mehrfach widerlegt. Trotzdem halten wir weiterhin stur an diesem alten Aberglauben fest – besonders, wenn es um Neugeborene geht. Aber warum ist das überhaupt von Bedeutung, fragst du dich vielleicht? Hier übergebe ich das Wort an Kemi Johnson, Birthkeeperin und Aktivistin im Bereich Geburtshilfe:
"Wenn wir einem Baby direkt nach der Geburt eine Mütze aufsetzen, sabotieren wir den Oxytocinfluss der Mutter, denn sie kann dann nicht am feuchten Kopf riechen oder ihn streicheln… das Oxytocin, das für die Kontraktionen der Gebärmutter verantwortlich ist und somit Blutungen verhindert."
Jemand, der gerade geboren hat, befindet sich in einer Art Parallelwelt. Die Geburt ist ein fremdes Land – in den Minuten danach muss sie erst wieder „hier und jetzt“ ankommen und in ihren Körper zurückkehren. Eltern brauchen körperliche Nähe, um sich nach dieser epischen Reise zu erden: berühren, riechen, küssen. Wer sich unbeobachtet fühlt, senkt ganz intuitiv das Gesicht zum kleinen Köpfchen hinab – dem Kopf, der nur Momente zuvor das Herz und das Gewebe weit geöffnet hat – und atmet den Duft des Babys ein. Wenn du genau hinsiehst, wirst du bemerken, dass dies die Gebärmutter erneut zusammenziehen lässt.
Nach über zwanzig Jahren an der Seite gebärender Menschen kann ich das nur bestätigen. Das rituelle Aufsetzen der Babymütze ist nur allzu oft der erste Eingriff, der die physiologische Geburt der Plazenta stört. Statt in ihrer goldenen Oxytocin-Blase zu bleiben, fragt die Hebamme nach einer Mütze oder greift selbst zu einer, die vielleicht von einer Fremden gestrickt wurde – und bedeckt damit die zarte Kopfhaut. Manchmal entsteht Hektik, wenn im Gepäck nach einer passenden Mütze gesucht wird. Oft rutscht die Mütze gleich wieder ab, was zu weiterem Herumhantieren mit dem Baby führt. All das reißt die Mutter aus ihrem tranceartigen Zustand – und nicht selten kommt es dadurch zu Problemen mit der Nachgeburt.
Zur Erinnerung: Die Temperatur eines Neugeborenen wird durch Haut-zu-Haut-Kontakt reguliert. Der Brustkorb der Mutter oder gebärenden Eltern ist die natürliche Wärmflasche – wenn dem Baby kalt ist, strömt mehr Blut in diesen Bereich, um es zu wärmen. Der Geburtsraum ist fast immer warm, und falls nicht, kann er entsprechend temperiert werden. Hautkontakt stabilisiert außerdem Atmung und Herzschlag des Babys und erhöht die Chancen auf einen erfolgreichen Stillstart.
Die Geburtsaktivistin Carla Hartley sagt: „Keine Mütze, kein Klaps, kein Gerede“ in den sensiblen Stunden nach der Geburt. Mit anderen Worten: Wenn alles gut ist – lasst die Familie in Ruhe. Gebt ihnen Raum und Zeit, um ihr Baby in Empfang zu nehmen.
Jacqui Tomkins ist eine freiberufliche Hebamme, die diese sensiblen ersten Momente ebenso leidenschaftlich schützt wie ich. Hier teilt sie eine faszinierende Erkenntnis über die „Duft-Chemie“ der Neugeborenen:
"Forscher haben ein geruchloses Duftmolekül namens Hexadecanal – kurz HEX – entdeckt, das von Menschen abgegeben wird und aggressives Verhalten beeinflusst. HEX ist das am häufigsten freigesetzte Molekül auf dem Kopf eines Neugeborenen. Studien zeigten, dass dieses Molekül Aggression bei Männern reduziert (biologisch sinnvoll, da das Töten von Neugeborenen im Tierreich nicht unüblich ist) und Aggression bei Frauen erhöht (wichtig für den Schutz des Nachwuchses)."
Quelle: Eva Mishor et al., Sniffing the human body volatile hexadecanal blocks aggression in men but triggers aggression in women, Science Advances (2021). DOI: 10.1126/sciadv.abg1530
Ziemlich beeindruckend, oder? Manchmal brauchen wir eine Erinnerung daran, dass wir das Ergebnis von Millionen Jahren natürlicher Selektion sind. Die Natur hat ein bemerkenswertes System geschaffen – wenn wir ihr nur für einen Moment vertrauen würden! Oder wie Dr. Sarah Buckley es formuliert:
"Die Körperwärme der Mutter reicht vollkommen aus, um alle Säugetierbabys durch Hautkontakt warm zu halten!"
Ich möchte noch einen weiteren Effekt der Mützen-Gewohnheit erwähnen – nämlich die Verunsicherung, die sie bei Eltern auslöst. Einen Moment befindest du dich in einem Gebärraum, der heißer ist als die Sonne, und dir wird gesagt, du sollst deinem Baby eine Mütze aufsetzen und es wie einen Burrito einwickeln. Kaum bist du zu Hause, erklärt dir die Hebamme oder Gesundheitsfachkraft, dass du dem Baby drinnen niemals eine Mütze aufsetzen sollst – und warnt dich eindringlich vor Überhitzung. Solche widersprüchlichen Empfehlungen untergraben das Vertrauen der Eltern – sowohl in sich selbst als auch in die Fachpersonen um sie herum.
Aber zurück zum Hexadecanal – ich lasse dich mit diesem Gedanken zurück: Eine Bedeutung von „hex“ ist „einen Zauber wirken“ oder „verzaubern“. Dein Baby verzaubert dich im wahrsten Sinne des Wortes! Eine andere Bedeutung von „hex“ ist „verfluchen“ – und ich finde, genau das tut diese Mützen-Gewohnheit: Sie ist wie ein Fluch über die kostbaren ersten Momente nach der Geburt.
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Von Doula Maddie McMahon, ins Deutsche übersetzt von Christine Clausen
Mehr von Maddie McMahon findest du hier:
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